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Forschung ist nie fertig.

"Molekulare Logik der Synapsenbildung" – mit diesem Thema startete Thomas Südhof den zweiten Tag der EBSA. Der gebürtige Deutsche ist Professor an der Stanford University in den USA und erhielt 2013 zusammen mit zwei weiteren Wissenschaftlern den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin "für die Entdeckung von Transportprozessen in Zellen". Nach seinem Vortrag haben wir ihn zum Interview getroffen. 

Herr Südhof, in der Biophysik gibt es zahlreiche Forschungsaspekte, was hat Sie dazu bewegt Ihren Fokus auf die Erforschung von Synapsen zu legen? 
Ich glaube, dass in der derzeitigen Zeit in der Wissenschaft das Verständnis des Gehirns eine der wichtigsten – wenn nicht die wichtigste Frage ist, die es aus biomedizinischen Gründen anzugehen gilt. Das Gehirn hat die Aufgabe Informationen zu verarbeiten, es ist das, was uns zum Menschen macht. Dabei ist die Informationsverarbeitung, alles, was das Gehirn tut, letztlich abhängig von der Funktion von Synapsen. Das macht es zu einer zentralen Frage in der biomedizinischen Forschung. Gleichzeitig ist es eine Frage, die noch sehr unvollständig erforscht ist. Es gibt hier noch viel zu entdecken, wir verstehen bislang sehr wenig. 

Sie haben über 500 Artikel verfasst, unterrichten, sind Teil wissenschaftlicher Beiräte, betreiben nach wie vor aktive Forschung im Bereich Neurowissenschaften und Synapsen und sagen zugleich, die Forschung ist noch unvollständig; Kann man als Forscher jemals "aufhören zu erforschen"? 
Natürlich kann man das, es ist eine persönliche Entscheidung. Wir sind keine Künstler, wir stellen keine Kunstwerke her, die irgendwann fertig sind. Stattdessen führen wir Forschungsaufgaben fort und geben sie dann an die nächste Generation weiter. Es ist ein kontinuierlicher Prozess: Forschung ist nie fertig. Es ist niemals etwas endgültig. 

Was bedeutet eine Auszeichnung mit dem Nobelpreis für einen Forscher? 
Das ist sehr abhängig von der Person. Ich bin der Meinung, dass man als Forscher Preisen eigentlich keine Beachtung schenken kann. Auszeichnungen, Preise, Ehren – letztlich muss man sich auf die Sache selbst konzentrieren, um Erfolg zu haben. Um es anders zu formulieren: Menschen, die Wissenschaft betreiben und damit erfolgreich sind, sind fast ausschließlich Personen, die wirklich an der eigentlichen Thematik interessiert sind. Forscher zu sein ist ein ziemlich hartes Brot, ein schwerer Beruf. Nur für Auszeichnungen oder Preise zu forschen, wäre aus meiner Sicht, eine verlorene Sache. 
Natürlich ist es schön ausgezeichnet zu werden, aber allein deswegen sollte man nicht Forscher werden. 

"Physische Kontakte sind absolut essentiell"

Welchen Stellenwert haben physische Kongresse wie die EBSA noch für die Forschung? 
Physisch stattfindenden Kongress sind absolut notwendig. Das virtuelle Dasein, das wir alle über die letzten 18 Monate erlebt haben, ist ineffektiv in vielerlei Hinsicht. Es kann irreführend sein und es führt häufig, meist unbeabsichtigt, zu falscher Kommunikation. Die physischen Kontakte und die Auseinandersetzung mit anderen Personen zu unterschiedlichen Themen sind meiner Auffassung nach absolut essentiell. 

Welche Aspekte von Tagungen wie diesen sind und werden in Ihrer Community auch in Zukunft von Bedeutung sein – was ist das essentielle an physischen Kongressen wie diesem?
Das essentielle ist, dass die richtige Balance gegeben ist. Nichts ist von sich aus der wichtigste Part. In anderen Worten: Es ist wichtig, Vorträge zu haben, aber es muss auch Zeit für Fragen und Antworten gegeben sein, ebenso wie Zeit für Social Events. 
Am besten funktionieren Kongresse, auf denen die Teilnehmer die Möglichkeit haben, nicht nur Small Talk zu führen, sondern ganz konkrete Fragstellungen zu diskutieren. Man braucht also eine Mischung: Vorträge, Round Tables, Diskussionsforen, Kaffeepausen, Poster Präsentationen. Letztlich ist es doch etwas anderes, wenn man jemanden persönlich hört, als wenn man einen virtuellen Vortag sieht – auch wenn die Vorträge nur ein kleiner Teil des Gesamten sind. 

"Wien hat sicher gewisse Standortvorteile"

Zuletzt noch eine Frage abseits des Kongresses: Wie ist ihr Eindruck von Wien? 
Wien ist eine tolle Stadt, keine Frage. Das kulturelle Angebot ist sehr hochwertig. Es scheint auch einiges zu passieren in der Wissenschaft – allerdings kenne ich die wissenschaftlichen Institutionen hier nicht genug, um das zu beurteilen. 
In dieser Reise hatte ich leider nicht genug Zeit, aber ich komme immer gerne hierher. Ich kann mir vorstellen, dass es in Wien noch mehr attraktive Konferenzen geben könnte. Auch im internationalen Wissenschaftsaustausch gibt es zunehmend Spannungen. Eine Stadt wie Wien, die neutral in der Mitte großer Forschungs-Nationen liegt, hat hier sicher gewisse Standortvorteile. 

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